Mit den Kindertransporten emigrierten nahezu 10.000 Kinder innerhalb von neun Monaten nach Großbritannien. Die britische Regierung lockerte für Kinder bis zum Alter von 17 Jahren die restriktiv gehandhabten Einreisebestimmungen und erlaubte eine Einreise ohne Visa-Formalitäten. Die Bearbeitung der Anträge erledigte die Abteilung Kinderverschickung der „Jüdischen Wohlfahrtspflege“ mit Dr. Martha Wertheimer. Auch für die von den Frankfurter Quäkern betreuten Anträge firmierte die Jüdische Wohlfahrtspflege. Die Quäker wiederum bündelten die Anträge der christlichen Hilfsstellen, das waren die evangelischen Zweigstellen des „Büro Pfarrer Grüber“ und die katholischen Beratungsstellen. Was gesammelt eingereicht wurde, ging im bürokratischen Ablauf weniger unter. Das britische Home Office benötigte gut vorbereitete Anträge, und an Vorbereitung war einiges zu erledigen: ein allgemeiner Antrag um Aufnahme mit dazugehöriger Erlaubnis, dass die Kinder in England vom Refugee Children’s Movement (RCM) betreut werden; ein Gesundheitszeugnis; eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Finanzamt; mehrere Passfotos; ein Kinderausweis; eine Garantie von britischer Seite von einer Hilfsorganisation oder einer Familie, die sich bereit erklärten, ein Kind aufzunehmen. Seit März 1939 wurde eine 50 Pfund-Bürgschaft notwendig, die die weitere Migration ab dem 18. Lebensjahr absichern sollte. Alle Vorbereitungen brauchten Zeit. Jüdische Hilfsorganisationen bürgten für „ungarantierte“ Kinder, bis ihre Funds an ihr Limit gerieten und neue Gelder, bspw. über den Lord Baldwin-Fund, gesammelt wurden.Zwar waren die Quäker nach Absprache innerhalb der christlichen Hilfsstellen nur für die Betreuung aller als konfessionslos registrierten Erwachsenen und Kinder zuständig, aber in der Praxis wiesen sie niemanden zurück, der sie um Hilfe bat. Mehrere tausend Kinder – Frankfurt galt als Sammelpunkt der umliegenden Städte – fuhren vom Hauptbahnhof in Richtung Hoek van Holland. Von dort ging es mit dem Schiff nach Harwich und weiter mit der Bahn zum Bahnhof Liverpool Street in London. Dr. Martha Wertheimer von der Abteilung Kinderverschickung und Isidor Marx vom Israelitischen Waisenhaus begleiteten mehrmals die Kinder im Zug, ebenso wie Else Wüst und Elisabeth Mann von den Quäkern. Es mussten zuverlässige Begleitpersonen sein, denn wer die Begleitung als eigene Fluchtmöglichkeit wahrnahm, gefährdete das ganze Unternehmen. Ab Januar 1939 fuhren zweimal im Monat Züge aus Frankfurt ab, später ab Mai/Juni drei größere „Kinderverschickungen“ pro Zug. Oft waren es 500 Kinder, manchmal auch „nur“ 50. Tricks wurden angewandt, um auch 18-jährige Schüler der „Jüdischen Anlernwerkstätte“ über das Kontingent eines Kindertransports ausreisen zu lassen. Am 31. August verließ der letzte Zug Frankfurt, denn mit Kriegsbeginn im September 1939 waren die Grenzen geschlossen.
Siehe zu Martha Wertheimer: Hanno Loewy (Hg.): Martha Wertheimer, In mich ist die große dunkle Ruhe gekommen, Frankfurt/Main 1996. Helga Krohn (Hg.): Vor den Nazis gerettet, Sigmaringen 1995. Rebekka Göpfert: Der jüdische Kindertransport von Deutschland nach England 1938/1939, Frankfurt/Main/New York 1999 und Rebekka Göpfert, Ich kam allein, München 1994. Petra Bonavita: Quäker als Retter, S. 116-141