Deutsch-britische Fluchthilfe – vorbereitet in der Arndtstrasse 51
Gleich den Quäkern und das Smallbones-Schema nutzend, halfen die britischen Schwestern Ida und Louise Cook vielen Menschen zur Flucht nach England. Im Haus von Professor Ferdinand Blum in der Arndtstrasse 51 organisierten Blums Töchter Pauline Jack und Gertrud Roesler-Ehrhardt die Treffen zwischen Hilfesuchenden und den Cook-Schwestern. Diese Begegnungen in Blums Privathaus blieben unbekannt, obwohl es viele Hinweise auf die sehr engagierte und den NS-Gesetzen widerständige Tochter Roesler-Ehrhardt gab. Denn auch nach Ferdinand Blums Emigration 1939 konnte sie die Arndtstrasse 51 als Familienbesitz halten. In dem Dokumentarfilm „Unter Denkmalschutz“ berichtete Roesler-Ehrhardt ausführlich über das „Blum’sche Kommune-Leben“.Ihre Schwester Pauline Jack war Musikpädagogin. Sie hatte Kontakte zu den Kreisen der Opernwelt und der klassischen Musik weit über Frankfurt hinaus. Die zwei musikbegeisterten Engländerinnen Ida und Louise Cook, die jeden Penny zusammenkratzten, um ihren Opernstars und den neuesten Inszenierungen auf dem Kontinent zu folgen, waren gern gesehene Wochenendgäste in der Arndtstrasse. Mit den Cook-Schwestern verwirklichten die Blum-Töchter die allerletzten Chancen für Verwandte und Freunde, einen Weg aus NS-Deutschland zu finden. Pauline Jack stellte eine Liste von Personen zusammen, die dringend emigrieren mussten. In ihrem Familiendomizil stellten sie Ida und Louise einen Raum für „die Interviews“ mit den Hilfesuchenden zur Verfügung. Um sich besser verständigen zu können, lernte Louise die deutsche Sprache. Das Apartment von Ida Cook am Dolphin Square in London wurde den Flüchtlingen als eine erste Anlaufadresse zur Verfügung gestellt.Zum ersten Mal hörten Ida und Louise Cook 1935 durch ihre Freundin Mitia was es bedeutet, als jüdische Deutsche in Frankfurt zu leben. 1937 verhalfen sie den ersten Freunden, darunter der Tochter von Mitia, Elsa Mayer-Lismann, zur Ausreise. Am 10. November 1938 wurde Ida Cook selbst Zeugin der Ereignisse in Frankfurt. Ihr Bericht über das britische Konsulat in Frankfurt, wie es im November seine Türen für Verfolgte öffnete und der Vizekonsul Arthur Dowden durch die Strassen fuhr, um Lebensmittel zu verteilen, wird u.a. in der Laudatio zur Ehrung der britischen Diplomaten in London im Jahre 2008 zitiert.1939 gingen Ida und Louise Cook systematisch vor. Freitagabends flogen sie vom Londoner Flughafen Croydon ein, um am Sonntagabend per Schiff und voll bepackt mit Pelzen und Edelklamotten, Brillantbroschen und Devisen zurückzukehren. Die „Mitbringsel“ der Flüchtenden sollten deren späteres Überleben in England sichern helfen. Ida und Louise führten vorbereitende Gespräche mit allen Hilfesuchenden. Sie wollten niemanden abweisen. Oft zeigte sich erst im Gespräch ein kompliziert erscheinender Fall als lösbar, oder ein als einfach eingeschätzter Fall, erwies sich als nicht zu bewerkstelligen. Die Nähe zum britischen Konsulat erleichterte den Engländerinnen ihre Vermittlung. Sie überprüften vorab die Dokumente und entwickelten eine überzeugende Geschichte, um den Konsul für ein Visum zu gewinnen. Nach der gelungenen Ausreise für Elsa Mayer-Lismann halfen sie ihrer Freundin Friedl Bamberger, dann deren Eltern, der Lehrerin Lulu Cossmann, der Offenbacherin Lisa Basch, der Wienerin Irma Bauer und vielen anderen.Ida und Louise Cook wurden im Jahre 1964 für die Rettung in 29 nachgewiesenen Fällen von der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Sie erhielten in London den „Heroes of the Holocaust Award“. Gertrud Roesler-Ehrhardt wurde 1983 mit dem Bundesverdienstkreuz und 1991 mit der Johanna-Kirchner-Medaille der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. Sie starb im Alter von 96 Jahren in Frankfurt am Main.
Siehe: Louise Carpenter: Ida & Louise – wie zwei Schwestern die Gestapo überlisteten, Zürich 2010; Ida Cook: Safe Passage - The Remarkable True Story of Two Sisters who rescued Jews from the Nazis, Don Mills, Ontario, Kanada 2008Zu Gertrud Roesler-Ehrhardt unddie Arndtstrasse 51 der HR-Dokumentarfilm: „Unter Denkmalschutz“ von Eberhard Fechner, 1975, und Petra Bonavita: Nie aufgeflogen Berlin 2013, S. 29 über den gescheiterten Rettungsversuch für Professor Karl Herxheimer.