Siehe: Petra Bonavita, Mit falschem Pass und Zyankali, Stuttgart 2009, S. 11-51, ebenso: Zivilcourage und Widerstand – Zum 100. Geburtstag von Heinz Welke, Selbstverlag Frankfurt/Main 2011, zu beziehen über die Paul Gerhardt-Gemeinde in Frankfurt/Main.
Was konnten ein Pfarrer und ein Arztehepaar gegen die Nationalsozialisten ausrichten? Mit dem Gewehr in der Hand die Gestapo-Zentrale stürmen? Mit Flugblättern zum Widerstand aufrufen?Mehrere Jahre hatten sie genau dies getan: Flugblätter der Bekennenden Kirche unter Teppichen versteckt und anschließend im Wagen aufs Land gefahren. Doch im Jahr 1942 galt es nicht mehr, Menschen über die wahren Absichten der Nationalsozialisten zu informieren, sondern Verfolgte vor der Deportation zu bewahren, also RettungsWiderstand zu leisten.Als Pfarrer Heinz Welke und das Arztehepaar Dr. Fritz und Margarete Kahl sich 1941 näher kennen lernten, hatte jeder von ihnen als Gegner des nationalsozialistischen Regimes eigene Erfahrungen gemacht.Welke verweigerte im Februar 1935 als Student der Theologie den Eid auf Hitler. Kahl fuhr 1934 in die Reichshauptstadt Berlin, um sich für einen jüdischen Kollegen zu verwenden, dessen Praxis geschlossen werden sollte. Welke predigte in Oppenheim/Rheinhessen gegen den Nationalsozialismus und wurde im Dezember 1938 von der Darmstädter Gestapo zur Fahndung ausgeschrieben. Kahl rettete im Verlauf des November-Pogroms 1938 einen jüdischen Fabrikanten vor der Verhaftung. Bei einem illegalen Aufenthalt in Frankfurt wurde Welke 1939 in Gestapo-Haft genommen, gefoltert und nur durch Einsatz von Freunden schwerkrank aus der Haft entlassen. Das Hilfswerk der Bekennenden Kirche in der Schweiz finanzierte ihm eine Kur in Davos. Ende 1940 kehrte er zurück und fand in den gleich gesinnten Kahls Freunde, die sich ähnlich wie er zur Hilfe und Rettung verpflichtet fühlten.Dr. Fritz Kahl behandelte noch 1941 jüdische Patienten, obwohl das längst verboten war. Margarete Kahl schickte ihren Sohn Eugen mit Taschen voller Lebensmittel zu jüdischen Patienten – eine Hilfe gegen die Hungerpolitik des hessischen Gauleiters Jakob Sprenger. Obwohl die Kahls vier Kinder zu versorgen hatten, schüchterte sie dies nicht ein. Sie versicherten sich weiterer Gleichgesinnter und bauten ihr kleines Widerstandshelfernetz auf: Mitglieder und Pfarrer der Bekennenden Kirche, Patienten der Arztpraxis, Menschen aus dem Bockenheimer Stadtteil ebenso wie auswärtige Helfer, zu denen Pfarrer Kurt Müller aus Stuttgart und die Fluchthelferin Dorle Pfeiffer gehörten und auf Schweizer Seite Luise Wetter. Die Kahls übergaben noch 1939 ihrer Haushaltshilfe Paula Meisenzahl den Schmuck von jüdischen Patienten, den sie ihnen nach London brachte. Trude Lengler und der Rechtsanwalt Johannes Becker stehen ebenfalls auf einer Liste des Bockenheimer Helferkreises. Der im türkischen Konsulat tätige Cavit Fitaman besorgte Obst und Gemüse und der Lebensmittelhändler Albert Pallentin löste Lebensmittelmarken ein. Die Krankenhausfürsorgerin Karoline Weber versorgte Pfarrer Welke, damit er seine Erkundungsfahrten und konspirativen Absprachen organisieren konnte, der Kriminal-Beamte Wilhelm Gentemann, der Schlosser Karl Münch und viele namenlos gebliebene Helfer – alle halfen bei den Rettungsaktionen des kleinen Bockenheimer Netzwerks.Nach der Aufforderung zur letzten großen Deportation am 14. Februar 1945, bei der noch einmal knapp 200 Frankfurter nach Theresienstadt verschleppt wurden, tauchten die von Pfarrer Welke und dem Arztehepaar Kahl betreuten Verfolgten in Königstein unter. Welke hatte das Versteck vermittelt. Margarete Kahl ging zu ihrer Nachbarin Margarete Wiehl und bot auch ihr an, sie zu verstecken. Frau Wiehl lehnte ab und kam wenig später auf Transport nach Theresienstadt. Sie wusste, was sie erwartete, denn ihre Schwester war bereits 1942 deportiert worden. Nie wieder hatte sie ein Lebenszeichen von ihr erhalten.